Erkenntnisse aus dem DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2024: Die Gestaltung der Straßen ist und bleibt entscheidend für die Sicherheit
- Landstraßen verzeichnen weiterhin die meisten Unfallopfer
- Zweistreifiger Ausbau sowie Büsche und Sträucher im Seitenraum bewährt
- Speziell entwickeltes Tool zeigt Sicherheit von Straßen in 84 Ländern auf
Die Gestaltung von Straßen und ihrer Seitenräume bleibt einer der entscheidenden Faktoren für das Unfallgeschehen. „Eine sorgfältige Planung und entsprechende Umsetzung können dazu beitragen, Unfälle möglichst ganz zu vermeiden oder zumindest die daraus resultierenden Risiken zu minimieren und die Verkehrsleistung zu optimieren“, sagt DEKRA Unfallforscher Markus Egelhaaf unter Verweis auf den DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2024 „Verkehrsräume für Menschen“. Eine der Herausforderungen: Schlüsselreize, die zu falschen Einschätzungen des Streckenverlaufs verleiten können, müssen vermieden werden. Das Ziel, so der DEKRA Experte, sei die selbsterklärende Straße mit fehlerverzeihender Verkehrs- und Seitenraumgestaltung.
Global betrachtet sind Landstraßen schon seit Jahren fast überall die Straßen mit den meisten Todesopfern. Das zeigen unter anderem die Daten, die die International Traffic Safety Data and Analysis Group (IRTAD) des International Transport Forum (ITF) sammelt. Demnach waren 2022 in 17 von 25 ausgewählten Ländern mehr als die Hälfte aller Verkehrstoten bei Unfällen auf Landstraßen zu verzeichnen – in Finnland, Irland und Neuseeland sogar zwei Drittel. In Deutschland lag der Anteil 2022 bei 57 Prozent; der Wert ist seit Jahren mehr oder weniger gleich. Nur in Südkorea, den Niederlanden, Japan und Portugal waren innerstädtische Straßen am unfallträchtigsten. „Um auf den Landstraßen gegenzusteuern, sind neben verkehrsregelnden Eingriffen wie etwa Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Überholverboten häufig auch Verbesserungen der Straßeninfrastruktur unabdingbar“, betont der DEKRA Unfallforscher.
Als Beispiel für eine gelungene Neugestaltung stellt der DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2024 unter anderem der „Bruce Highway“ in Australien vor. Auf der rund 1.700 Kilometer langen Strecke an der Ostküste des Landes wurden in den letzten Jahren große Streckenabschnitte in Sachen Verkehrssicherheit optimiert. Zu den Maßnahmen des auf 15 Jahre angelegten und noch bis 2028 laufenden Infrastrukturprogramms zählen etwa breite Mittellinien, Kreuzungsverbesserungen, Sicherheitsbarrieren und der teilweise autobahnähnliche Ausbau mit bis zu vier Spuren in beiden Richtungen. Die Bilanz kann sich sehen lassen: Allein auf dem gerade mal 60 Kilometer langen Streckenabschnitt zwischen den Ortschaften Cooroy und Curra sank die Zahl der Verkehrstoten erheblich. Kamen dort in den Jahren 2005 bis 2009 nach Angaben des Royal Automobile Club of Queensland 22 Menschen bei Straßenverkehrsunfällen ums Leben, waren es in den Jahren 2018 bis 2022 nur noch drei. Das bedeutet eine Reduktion um 86 Prozent.
Gute Erfahrungen mit 2+1-Straßen
Dass ein konsequenter zweistreifiger Ausbau mit baulicher Trennung der Richtungsfahrbahnen nachhaltig zur Vermeidung von Gegenverkehrsunfällen beitragen kann, steht außer Frage – insbesondere auch auf stark befahrenen Strecken mit hohem Lkw-Anteil. Auch, wo ein kompletter zweistreifiger Ausbau nicht erforderlich oder nicht möglich ist, können aber sichere Überholmöglichkeiten geschaffen werden. Dafür hat sich vor allem das schon zu Beginn der 1990er-Jahre in Schweden entwickelte Prinzip der sogenannten 2+1-Straßen bewährt.
Bei dieser Ausbauform wird den gegenläufigen Fahrtrichtungen abwechselnd ein zweistreifiger und dann wieder ein einstreifiger Streckenabschnitt bereitgestellt. Die konventionelle 1+1-Führung in den dazwischenliegenden Abschnitten variiert in der Länge und reicht bis zu mehreren Kilometern mit angeordnetem Überholverbot, ehe in eine der beiden Richtungen wieder zwei Fahrstreifen zur Verfügung stehen.
Die Erfahrungen auf den so ausgebauten Streckenabschnitten sind positiv: Die Unfallzahlen sinken ebenso wie die Schwere der Unfälle; die Überholverbote erfahren hohe Akzeptanz. In Schweden konnte durch den Ausbau zweispuriger Straßen auf eine 2+1-Konfiguration die Zahl der Unfälle mit Getöteten oder schwer Verletzten auf diesen Strecken um 50 bis 80 Prozent gesenkt werden.
Gezielter Einsatz von Büschen und Sträuchern
Jede Straßenklasse hat spezifische Risiken in Bezug auf die Entstehung und die Folgen von Unfällen. Auf Landstraßen ist insbesondere das Abkommen von der Fahrbahn mit einem Anprall gegen ein Objekt im Straßenseitenraum ein kritisches und häufiges Szenario dar. Auch wenn die Zahl der Verunglückten bei Unfällen mit Bäumen und Masten mit den Jahren abnimmt, hat sich der prozentuale Anteil von Baumunfällen am Gesamtunfallgeschehen trotz vieler Bemühungen kaum verändert. Der Anteil tödlich Verunglückter bei Baumunfällen über alle Ortslagen hinweg lag 2010 in Deutschland bei 20 Prozent und 2021 bei 17 Prozent. Auf Außerortstraßen ohne Autobahnen, also auf Landstraßen, lag der Anteil bei 24 Prozent. Zum Vergleich: In Frankreich kamen 2021 laut Jahresunfallbericht des ONISR auf Landstraßen 1.733 Menschen ums Leben – davon 37 Prozent bei einem Baumunfall. „Die Zahlen verdeutlichen, dass die sichere Gestaltung des Straßenseitenraums von herausragender Bedeutung ist. Vor allem im außerörtlichen Verkehr sind Maßnahmen zur Minimierung der Unfallfolgen besonders dringlich – vor allem mit Blick auf die Anprallgefahren neben der Fahrbahn.“
Schon seit Jahren weist DEKRA auf diese Problematik hin und fordert, Bäume und Masten in unmittelbarer Nähe zur Fahrbahn durch wirkungsvolle Schutzeinrichtungen zu sichern oder Hindernisse so weit wie möglich zu entfernen. Wo beides nicht möglich ist, sollte die zulässige Geschwindigkeit reduziert werden. Schutzeinrichtungen bieten aber nur dann einen optimalen Schutz, wenn sie mit genügend Abstand zum Hindernis aufgestellt werden. Beim Anpflanzen neuer Bäume neben der Fahrbahn ist zudem auf ausreichenden Abstand zu achten. Eine sicherheitsrelevante Alternative bei der Straßenraumgestaltung gerade im ländlichen Bereich könnte der gezielte Einsatz von Buschwerk und Sträuchern sein. In der Vergangenheit haben DEKRA Crashtests gezeigt, dass die Belastungen für Fahrzeuginsassen bei einem Aufprall auf Buschwerk etwa achtmal geringer sind als bei einer Kollision mit einem Baum.
Sterne-Rating für Straßen
Um Unfälle über alle Ortslagen hinweg bestmöglich zu verhindern und die Zahl der Verkehrstoten im Zeitraum 2021 bis 2030 möglichst zu halbieren, haben sich die Vereinten Nationen schon im November 2017 auf zwölf freiwillige Leistungsziele geeinigt. Laut Zielvorgabe 3 sollen bis 2030 alle neuen Straßen für alle Verkehrsteilnehmenden technische Standards erfüllen, die der Verkehrssicherheit Rechnung tragen, oder eine Drei-Sterne-Bewertung oder besser erreichen. Und laut Zielvorgabe 4 sollen bis 2030 mehr als 75 Prozent der Fahrten auf bestehenden Straßen erfolgen, die technische Standards für alle Verkehrsteilnehmenden erfüllen und der Verkehrssicherheit Rechnung tragen.
„In diesem Punkt besteht noch viel Nachholbedarf“, gibt der DEKRA Unfallforscher zu bedenken. Das zeigt zum Beispiel der iRAP Safety Insights Explorer, entwickelt vom International Road Assessment Programme (iRAP), einer gemeinnützigen Organisation mit Beraterstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten. Die Bewertungen in diesem Tool umfassen annähernd 600.000 Kilometer Fahrbahnen in 84 Ländern.
Was die Straßen-Ratings anbelangt, sind die Unterschiede zwischen den gelisteten Ländern teilweise immens. So verfügen etwa in den USA 30 Prozent der bewerteten Straßenkilometer für die Kategorie Fahrzeuginsassen über ein 3-Sterne-Rating, 33 Prozent über ein 4-Sterne-Rating und immerhin 17 Prozent über ein 5-Sterne-Rating. Circa 20 Prozent entfallen auf Straßen mit 2-Sterne- oder 1-Sterne-Rating. In Kenia kommen nur etwa 25 Prozent auf ein 3-Sterne-Rating oder besser. 48 Prozent haben ein 1-Sterne-Rating (Details online unter www.irap.org/safety-insights-explorer).
Weitere Hintergründe zu den hier angesprochenen Themen wie auch zu vielen weiteren Aspekten rund um das Thema „Verkehrsräume für Menschen“ finden sich im DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2024 unter www.dekra-roadsafety.com.
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Quelle: DEKRA
Fotocredits: DEKRA