Massenflucht aus den Kirchen – Kommentar von Raimund Neuß zur neuen katholischen Kirchenstatistik
Das ist kein bloßer Mitgliederverlust mehr, das ist schon eine Massenflucht. Mehr als eine halbe Million Menschen haben im letzten Jahr die katholische Kirche in Deutschland verlassen. Das entspricht der Mitgliederzahl eines mittelgroßen Bistums wie Osnabrück. Es waren noch einmal fast 46 Prozent mehr als beim bisherigen Höchststand 2021. Woran kann das liegen?
Die Aufdeckung immer neuer Fälle sexualisierter Gewalt, die Fehler bei der Aufarbeitungdieses schrecklichen Geschehens, der Reformstreit – all das mag eine Rolle spielen. Wer auf die Auseinandersetzungen um den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki blickt, sollte bedenken, dass die Quote der Austritte im Verhältnis zur Gläubigenzahl nach wie vor in Hamburg, München und Berlin höher liegt als in Köln, wo man den Effekt doch zuerst spüren müsste. Und dass andere (Erz-)Bistümer wie München genug eigene Probleme haben.
Aber auch unabhängig davon treffen die katholische Kirche die Folgen eines grundsätzlichen Wandels, wie ihn der – evangelische – Religionssoziologe Detlef Pollack beschrieben hat. Nicht mehr der Austritt aus einer Kirche ist begründungsbedürftig, sondern Erklärungsnot spürt eher, wer dabeibleibt.
Die Folgen dieser Entwicklung spürt auch die evangelische Kirche, aber wenigstens muss sie keine Debatten mehr zur Rolle von Frauen und zum Umgang mit Homosexualität führen. Diese konkreten Austrittsgründe fallen also weg, und vielleicht deshalb sieht es auf evangelischer Seite nicht ganz so schlimm aus wie auf katholischer. Aber schlimm genug.Und beim Thema Missbrauch segelt man bisher im Windschatten der Katholiken. Da wird das bittere Ende noch kommen.
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Quelle: Raimund Neuß, Kölnische Rundschau
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