Ein ausgeruhter Kanzler präsentierte sich, während draußen vor der Tür die Bauern mit unzähligen Traktoren protestierten …

Berliner Morgenpost/Das Trampeltier/Leitartikel von Chefredakteur Peter Schink

Das Trampeltier ist eigentlich ein Dromedar, das zwar schwerfällig, aber ziemlich freundlich ist. Insofern eigentlich unpassend, dass das Tier im Deutschen als Schimpfwort missbraucht wird. In der vergangenen Woche trampelte niemand geringerer als Bundeskanzler Olaf Scholz durch die Öffentlichkeit, als wäre er ein Trampeltier. Nun kann man Politiker kritisieren, beschimpfen sollte man sie nicht.

Sie arbeiten viel, oftmals zu Uhrzeiten, zu denen ich auf dem heimischen Sofa sitze, und sie bekommen für ihren Job in der Regel wenig Anerkennung. Sie tragen eine enorme Verantwortung. Das alles sollte man nicht in Abrede stellen. Nun war aber die vergangene Woche eine, die aufhorchen ließ.

Die Bauern protestierten und machten lautstark auf ihre schwierige wirtschaftliche Situation aufmerksam. Der Protest richtete sich gegen die Streichung der Agrardiesel-Subventionen. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir bracht es in einer Talkshow auf den Punkt: Der Streit um den Agrardiesel sei eine Metapher für die große Unzufriedenheit der Bauern insgesamt. Mit den Bauern solidarisierten sich Logistiker, Handwerker.

Ich habe noch eine Bäuerin im Ohr, die während einer Demonstration sagte: „Wir können einfach nicht mehr.“ Die Stimmung ist aufgeheizt. Weil die Regierung die angespannte Lage bei den Bauern schlicht unterschätzt hat. Während also die Bauern protestierten, suchte der Kanzler in dieser Woche in Cottbus eine freundlichere Kulisse.

Ein Fototermin bei einem Projekt, wo mal was richtig gut läuft. Ein ICE-Werk, in Rekordzeit gebaut, wo 1200 Arbeitsplätze entstehen. Ein ausgeruhter Kanzler präsentierte sich da, während draußen vor der Tür die Bauern mit unzähligen Traktoren protestierten. Scholz stellt sich ans Mikrofon und sagt vor glänzend polierten ICE-Zügen gut gelaunt einen Satz, der tief blicken lässt: „Wir leben ja in aufgeregten Zeiten, ein bisschen haben wir das auch gehört.“ Sehr spontan sagt er das, im Redemanuskript steht der Satz vermutlich nicht. Aber was soll das eigentlich heißen? Aufgeregte Zeiten? Was meint der Mann damit?

Es klingt, als wolle er sagen: Die Aufregung, die geht schon wieder vorbei, liebe Bauern, ist doch alles nicht so schlimm, wie es erst mal aussieht. Der Kanzler verkennt eines: Die Menschen plagen handfeste Nöte. Sein Auftreten wirkt in diesem Moment unangemessen und flapsig. Er wertet den Protest ab. Aus seinem Mund klingt es, als wäre die Protestwoche der Bauern ein Shitstorm, der vorüberzieht.

Scholz zeigt in Cottbus wieder einmal, dass es ihm an Empathie fehlt. Das ist gefährlich, weil die Menschen in diesen schwierigen Zeiten jemand suchen, der ihre Nöte versteht, ihnen zuhört, sie ernst nimmt. Das Trampeltier Scholz überlässt mit Auftritten wie in Cottbus den Populisten das Feld. Die gaukeln zumindest vor, die Nöte der Menschen ernstzunehmen.

Wir brauchen in diesem Land dringend eine andere politische Sprache, mehr Empathie und Zugewandtheit. Scholz könnte sich Wortungetüme wie den „Doppelwumms“ sparen. Er sollte direkt und authentisch mit den Menschen sprechen. Die Bürger vertragen auch unangenehme Wahrheiten. Sie wollen nur, dass man sie ernst nimmt. Scholz vermittelt den Eindruck, dass dem nicht so ist.

Die Ampel muss dringend Vertrauen zurückgewinnen, Frustration abbauen. Mehr Empathie könnte da helfen. Dann wären sogar die hohen Sparziele leichter vermittelbar. Trampeltiere gehören in den Zoo, nicht auf die Regierungsbank.

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Quelle: BERLINER MORGENPOST
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